Frühkindliche Reflexe legen Säuglinge bereits im Mutterleib an. Einer der bekanntesten ist der Saugreflex, den man manchmal schon im Ultraschall beobachten kann, wenn das Ungeborene an seinem Daumen nuckelt. Auch das Schlucken und Suchen nach der mütterlichen Brust sind keine Fähigkeiten, die erworben werden müssen. Sie sind ebenfalls Reflexe des Babys; sie reagieren unwillkürlich und stets in gleicher Weise auf einen äußeren Reiz. Das Baby weiß also intuitiv, was es zu tun hat. Etwas ungewöhnlich mag hier der sogenannte Moro-Reflex erscheinen. Was der Moro-Reflex ist, wie er sich äußert und wie lange dein Baby ihn beibehält, erfährst du hier.

Der Moro-Reflex beim Baby: Was ist das?

Der Moro-Reflex ist auch als Klammerreflex oder Umklammerungsreflex bekannt. Denn so äußert sich die Reizreaktion in der Tierwelt: Junge Säugetiere, die als Traglinge zur Welt kommen, sichern durch das Umklammern an der Mutter ihr Überleben. Man denke an Affenbabys, die sich zunächst am Bauch der Mutter festhalten und sich später auf dem Rücken transportieren lassen. Der Reflex wird weiterhin als Schreckreflex bezeichnet. Benannt wurde der Reflex nach dem österreichischen Arzt für Kinderheilkunde Ernst Moro, der ihn im Jahre 1918 zum ersten Mal beschrieb.

Welchen Sinn hat der Moro-Reflex?

Wissenschaftler vermuten, dass der Moro-Reflex ein Überbleibsel aus Urzeiten ist, in denen sich menschliche Säuglinge – ebenso wie die Jungen von Menschenaffen – an ihre Mutter klammern mussten, um in Gefahrensituationen ihr Überleben zu sichern. Bei Babys ist der Reflex längst nicht mehr so ausgeprägt, als könnten sie sich wirklich mit Händen und Füßen an ihre Bezugsperson klammern. Biologen sehen am Moro-Reflex sowie an der gekrümmten Haltung der Beinchen von Neugeborenen Hinweise darauf, dass auch Menschenbabys der Gattung der Traglinge angehören.

Auch wenn der Reflex bei Babys nicht mehr zum Festhalten an der Bezugsperson führt, so ist er nach wie vor überlebenswichtig für Säuglinge. Die Moro-Reaktion soll unter anderem den ersten Atemzug des Babys ermöglichen und seine Luftröhre öffnen, wenn es sich verschluckt hat. Als Schreckreflex wird er bezeichnet, da er das Nervensystem darauf vorbereitet, wie es in Gefahrensituationen umgehen soll: Ausgelöst durch den Reflex schüttet der Körper die Stresshormone Adrenalin und Cortisol aus, während gleichzeitig die Atemfrequenz sowie der Puls steigen.

Eine belgische Studie hat das Auslösen und Verhalten des Moro-Reflexes untersucht und kam zu dem Schluss, dass es sich dabei außerdem um eine Art non-verbale Kommunikation mit der Bezugsperson handelt. Durch den Klammerreflex äußern Babys das Verlangen, auf den Arm genommen zu werden.

Wie der Such- und Saugreflex ist der Klammerreflex ein frühkindlicher Reflex, auch als Primitivreflex bezeichnet, der im Laufe der Entwicklung des Großhirns allmählich verschwindet.

Wie äußert sich der Moro-Reflex?

Typischerweise erkennt man den Moro-Reflex bei Säuglingen an einer ruckartigen Bewegung der Arme: Babys strecken die Ärmchen von sich und spreizen alle Fingerchen ab. Auch die Beinchen strecken sie oftmals von sich. Im nächsten Moment ballen sie die Hände zu Fäustchen und legen sie auf ihren Oberkörper.

Meist hat es den Anschein, als würden Babys fallen, auch wenn sie auf einer sicheren Unterlage liegen.

Was löst den Moro-Reflex aus?

Es gibt einige äußere Reize, die den Moro-Reflex auslösen können. Diese sind:

  • Veränderte Lichtverhältnisse
  • Lärm
  • Ruckartige Bewegungen
  • Unerwartetes Ablegen des Säuglings
  • Veränderte Kopfposition des Babys

Diese Situationen können dazu führen, dass das Baby aufschreckt und infolgedessen die Klammerreaktion einsetzt.

Bei der Vorsorgeuntersuchung U2 und U3 testet der Kinderarzt oder die Kinderärztin, ob die Moro-Reaktion vorhanden ist. Dazu wird das Baby aus dem Sitz ein paar Zentimeter nach hinten gekippt, oder der Arzt bzw. die Ärztin zieht sanft an den Ärmchen des Säuglings, ohne den Kopf dabei anzuheben.

Der Moro-Reflex kann sich auch spontan beim Schlafen zeigen. Damit es sich von der ruckartigen Bewegung nicht selbst weckt, wird oft das Pucken des Babys empfohlen. Die Methode ist jedoch umstritten. Wenn du es bei deinem Baby ausprobieren möchtest, solltest du auf ein paar wichtige Punkte achten, damit das Einwickeln deines Neugeborenen nicht schädlich für seine Entwicklung ist.

Wie lange bleibt der Klammerreflex erhalten?

Bis zum dritten Lebensmonat ist der Moro-Reflex bei Säuglingen ausgeprägt, danach nimmt er rapide ab. Im Alter von sechs Monaten sollte er ganz verschwunden sein. Die Klammerreaktion weicht dann einer reiferen Schreckreaktion, die sich durch Hochziehen der Schultern und Drehen des Kopfes zur Störquelle hin äußert.

Kann der Moro-Reflex auch im Kindes- und Erwachsenenalter vorhanden sein?

Frühkindliche Reflexe werden gewöhnlicherweise im Laufe des ersten Lebensjahres des Kindes gehemmt, damit sich das Gehirn weiterentwickeln kann. Bleiben Primitivreflexe bestehen, können negative Folgen für das Kind und auch noch für Erwachsene entstehen.

Ein persistierender Moro-Reflex kann zu folgenden Problemen führen:

  • Koordinations- und Gleichgewichtsprobleme
  • Schreckhaftigkeit und ein allgemein ängstliches Verhalten
  • Störungen beim Hören und Sehen
  • Konzentrationsprobleme
  • Übertriebene Reizwahrnehmung
  • Immunschwäche

Wurde festgestellt, dass Kinder oder Erwachsene an den Folgen des fortbestehenden Moro-Reflexes leiden, kann eine Neuro-Reflextherapie helfen. Bestehende Primitivreflexe können durch gezielte Reflextherapie-Übungen langfristig gemildert werden oder ganz verschwinden. Bei Kindern schlägt eine solche Therapie meist schnell an, bei Erwachsenen nimmt sie etwas mehr Zeit in Anspruch. Erfolge lassen sich jedoch auch dann bald erkennen.

Quellen

Hassenstein, B., & Kirkilionis, E. (1992). Der Menschliche Säugling – Nesthocker, Nestflüchter oder Tragling? Wissenschaft und Fortschritt, 42(1), 25.
Rousseau, P.V., Matton, F., Lecuyer, R., & Lahaye, W. (2017). The Moro reaction: More than a reflex, a ritualized behavior of nonverbal communication. Infant Behavior and Development, 46, 169-177.
Edwards, C. W., & Yasir Al Khalili. (2021). Moro Reflex. StatPearls, StatPearls Publishing.
Entwicklung-kinder.de: Moro-Reflex
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V.: Neuro-Reflextherapie – Primitivreflexe

Über den Autor

Julia May

Hi! Ich bin Julia und seit 2018 Mama eines aufgeweckten Jungen, der meine Welt manchmal ganz schön auf den Kopf stellt. 2022 gesellte sich mein zweites Söhnchen hinzu und gemeinsam erleben wir den trubeligen Alltag einer vierköpfigen Familie. Meine Erfahrungen teile ich mit dir in zahlreichen Artikeln rund um Kindererziehung, Schwangerschaft und Gesundheit und gebe bewährte und hilfreiche Tipps, die deinen Familienalltag erleichtern.

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